DFG-Projekt „Gelegenheitsmusik des Ostseeraums vom 16. bis 18. Jahrhundert: Erfassung, Katalogisierung und musikwissenschaftliche Auswertung“

Zu den wichtigsten Aufgaben der historischen Musikwissenschaft in den Ländern des Ostseeraums gehört die Erforschung der Gelegenheitsmusik des 16. bis 18. Jahrhunderts. Denn in einer ansonsten stark von Importen abhängigen Kulturregion handelt es sich bei den Kasualstücken um autochthone Musik, die deshalb besondere Relevanz für die historische Identität der Region besitzt. Gleichwohl sind die bisherigen Forschungen auf diesem Gebiet bisher sporadisch geblieben, weil es an einer allgemein zugänglichen Quellenübersicht fehlte. Diesem Desiderat sollte durch das von der DFG finanzierte Projekt „Gelegenheitsmusik des Ostseeraums vom 16. bis 18. Jahrhundert“ mit einer erstmaligen Erfassung und Katalogisierung der wichtigsten im Ostseeraum vorhandenen Bestände abgeholfen werden.

Die Ergebnisse der Arbeiten sind in dieser jederzeit zu vervollständigenden Internetdatenbank publiziert. Im März 2013 wurde sie bei einer internationalen Konferenz in Greifswald dem eingeladenen Fachpublikum vorgestellt. Ein Tagungsband mit dem Titel „Gelegenheitsmusik im Ostseeraum vom 16. bis 18. Jahrhundert“, herausgegeben von Peter Tenhaef, ist 2015 beim Verlag Frank & Timme in Berlin erschienen. Bei der Konferenz stand die Frage nach der spezifisch ostseeischen Musikkultur vom 16. bis zum 18. Jahrhundert – musikalische Praxis, Funktion der Musik im kulturellen Leben, soziale und institutionelle Strukturen – im Vordergrund.

Erläuterung der Erfassungskategorien

Ein wichtiges Ziel der Datenbank ist die möglichst vielfältige und detaillierte Erfassung der Gelegenheitsmusiken, wobei sowohl an die Grundlagenarbeit für die Musikwissenschaft und andere mit dem Gelegenheitsschrifttum verbundene Wissenschaften gedacht ist, als auch an die Verwendung für die musikalische Praxis im Bereich der Alten Musik. In etlichen Punkten geht die Datenbank dabei über andere Kataloge (z.B. RISM) hinaus, etwa was die Vollständigkeit der Titelwiedergabe, die originale Bezeichnung der Stimmen und andere musikalische Details betrifft; auch die möglichst genauen Angaben zu den vorkommenden Personen dürften für weitere Forschungen nützlich sein, zumal daraus komplexe Netzwerke abzuleiten sind. Nicht zu leisten war hingegen die Identifizierung der Wasserzeichen und der Schreiberhände in Manuskripten. Letztere werden, wo möglich, nach RISM angegeben. Die ca. 40 Kategorien, unter denen die Schriften für die Datenbank aufgenommen wurden, sollen im Folgenden kurz erläutert werden:

Gelegenheit
Hier wird sowohl die allgemeine reguläre Gelegenheits- oder Anlasskategorie erfasst (Hochzeit, Begräbnis, Geburtstag, Namenstag, Examen, Amtseinführung, Inthronisation, Sieg, Frieden, Waffenstillstand, Begrüßung, Verabschiedung etc.) als auch das konkrete einmalige Ereignis, zu der die Musik, meistens auch der der Vertonung zugrunde liegende Text, geschaffen wurde.

Datum der Gelegenheit
Der Zeitpunkt des konkreten Anlasses, zu dem die Musik komponiert (und in der Regel auch aufgeführt) wurde, ist oft auf dem Titelblatt vermerkt, konnte manchmal auch anderweitig erschlossen werden. Bei Traueranlässen ist hier das Datum der Beerdigung, nicht das des Todes angegeben. Nicht selten muss bei Daten zwischen dem julianischen („alter Stil“) und dem gregorianischen Kalender („neuer Stil“) unterschieden werden. (Der 1582 von Papst Gregor XIII. eingeführte korrigierte Kalender, der zehn Tage überspringt, wurde in den verschiedenen Ländern des Ostseeraums erst mit zum Teil Jahrhunderte langen Verspätungen eingeführt.) Kalenderangaben nach römischer Art (in lateinischen Drucken) wurden übertragen.

Ort und Land der Gelegenheit
Der Ort und das Land des Anlasses wird sowohl in historischer Schreibweise und Sprache angegeben als auch in moderner, derzeit gültiger.
Unter „Land“ ist in moderner Version immer der jeweilige Staat zu verstehen, in historischer Version werden die ostseeischen Regionen des Hl. Römischen Reichs und Polens differenziert benannt: Holstein, Lübeck, Mecklenburg, schwedisches und brandenburgisches Pommern, polnisches und brandenburgisches Preußen. In letzterem Fall wird bis 1618 die Bezeichnung „Herzogtum Preußen“ verwendet.

Personen Hier wurden alle Namen erfasst, die zum Anlass genannt werden (in der Regel auf dem Titelblatt). Wenn der Name in verschiedenen Schreibweisen überliefert ist, z.B. auch landessprachlich und latinisiert, werden diese Varianten genannt. Bei verheirateten Frauen wird zuerst der Geburtsname genannt, erst danach der Ehe- und evtl. Witwename. Vornamen werden in der originalen Schreibweise beibehalten, unter Umständen aber sowohl in latinisierter wie landessprachlicher Version.

Personenkategorie Diese Kategorie ist nach dem Namen in Klammern angegeben. Hier erscheint die Funktion einer Person innerhalb des jeweiligen Anlasses, z. B. „Verstorbene“, „Bräutigam“, „Braut“, „Vater der Braut“, „Witwe“ oder einfach „Adressat“.

PND/GND Hier erscheint die PND/GND-Nummer (falls vorhanden). Die Personennamendatei (PND) ist eine Normdatei von Personen, die vor allem zur Erschließung von Literatur in Bibliotheken diente. Die Deutsche Nationalbibliothek sowie alle deutschen und österreichischen Bibliotheksverbünde führten sie bis 2012 kooperativ. Für jede in die Personennamendatei aufgenommene Person gibt es einen Datensatz, auf den mit Hilfe eines eindeutigen Identifikators, der PND-Nummer, verwiesen werden kann. Die PND enthält sowohl für einzelne Personen so genannte individualisierte Datensätze mit zusätzlichen Angaben (vor allem Lebensdaten, Beruf und Pseudonyme) als auch nicht-individualisierte Datensätze, die lediglich eine für mehrere Personen verwendbare Namensansetzung beinhalten. Ende April 2012 ist die PND in der Gemeinsamen Normdatei (GND) aufgegangen. PND und GND werden in der Datenbank nicht unterschieden.

Lebensdaten Die Lebensdaten sind zum Teil der Schrift selbst entnommen, z.T. auf anderem Wege eruiert, worauf in den Bemerkungen zur Person hingewiesen wird.

Berufsbezeichnung/Stand/Amt Auch diese Angaben sind zum Teil der Schrift selbst entnommen, zum Teil auf anderem Wege eruiert, worauf in den Bemerkungen zur Person hingewiesen wird. Latinisierte Bezeichnungen sind, soweit eindeutig, ins Deutsche übersetzt. Neben dem Amt, das eine Person innehatte, ist der jeweilige (Wohn-)Ort aufgeführt, und nach Möglichkeit auch der Zeitraum, von wann bis wann die Person das Amt ausgeübt hat.

Bemerkungen zur Person Außer speziellen Hinweisen (etwa zu Verbindungen mit anderen Personen) erscheinen hier eventuell Hinweise zur Literatur über die Person.

Komponist und Textverfasser Hier sind in der Regel die Angaben übernommen, die dem Titelblatt zu entnehmen sind. Nur in sehr seltenen Fällen konnte der Komponist auf andere Weise ermittelt werden. Wenn der Verfasser des Textes in der Schrift nicht ausdrücklich benannt ist, ist des Öfteren zu vermuten, dass er mit dem Komponisten identisch ist, zumal wenn dieser anderweitig nachweislich mit poetischen Texten hervorgetreten ist.Sind die Verfasser anonym, ist das mit „unbekannt“ vermerkt. Keine Angaben wurden gemacht, wenn bei der Komposition eine vorexistierende Textgrundlage oder Melodie unverändert verwendet wurde (siehe unten „Textgrundlage“ und „Melodie“).

Textanfang Die Textanfänge werden wegen der leichteren Identifizierbarkeit in heute üblicher Schreibweise wiedergegeben. Die originale Schreibweise der Anfänge findet man in den Inzipits unter den Noten.

Exemplar Falls eine Komposition in mehreren Exemplaren überliefert ist (mehrere Exemplare eines Drucks, Abschriften, Neudrucke oder ähnliches), werden diese auf derselben Seite aufgeführt.

Titel Die Titel, in der Regel das ganze Deckblatt einnehmend, sind vollständig aufgenommen, und zwar in der originalen Orthographie und Interpunktion. Zeilenumbrüche sind mit | gekennzeichnet, Unterbrechungen des Textes durch vorkommende Zierleisten oder emblematische Bilder mit ||.

Separate Widmung Über die Nennung der Widmungsträger auf dem Titelblatt hinaus, werden diese manchmal noch auf einer oder mehreren weiteren Seiten geehrt. Dies wird entsprechend vermerkt.

Sprache Hier werden sowohl die Sprache des vertonten Textes als auch weitere, etwa im Titel oder in hinzugefügten Gedichten vorkommende Sprachen angegeben.

Textgrundlage Häufig stammen die vertonten Texte nicht von zeitgenössischen Dichtern, sondern sind aus der Bibel, dem Fundus des evangelischen Liedchorals oder anderen Quellen entnommen. Dies wird hier nachgewiesen, möglichst auch im Fall von Paraphrasen.

Besetzung, Originalbezeichnung der Stimmen Die Besetzung mit Vokal- und Instrumentalstimmen wird sowohl mit modernen Kürzeln (nach RISM) als auch in originaler Version angegeben, in Ritornellarien und anderen mehrteiligen Formen weiter differenziert, in vielteiligen Kantaten allerdings summarisch.

Tonart(en) Die Tonart ist im 16. und 17. Jahrhundert oft noch kirchentonal geprägt, d.h.: nicht eindeutig als Dur oder Moll zu bestimmen. Darum werden hier in der Regel die Vorzeichen und der Schlusston der untersten Stimme angegeben, z.B.:#, g (= G-Dur) oder 0, d (= dorisch), und zwar (außer bei vielteiligen Kantaten) für die verschiedenen Teile einer Komposition.

Taktart(en) Die Taktart, mit der eine Komposition bzw. einer ihrer separierten Teile beginnt, wird nach der originalen Form wiedergegeben (und nicht etwa in modernes Taktverständnis übertragen). Dabei sind aus schreibtechnischen Gründen aber Brüche/Mensurzeichen mit Schrägstrichen wiedergegeben (z.B. 3/4), der Vollkreis für den Dreiertakt mit O, der Halbkreis für den geraden Takt mit C und der Alla breve-Strich durch einen nachgestellten |.

Gattung (original und modern/ergänzt) Gibt es im Original gattungsspezifische Begriffe, werden diese mitgeteilt. In jedem Fall wird eine gattungsmäßige Zuschreibung aus heutiger Sicht unternommen; siehe dazu die Liste der festgelegten Gattungsdefinitionen.

Aufbau Hier wird der formale Aufbau einer Komposition mit mehreren Teilen skizziert, auch die Anzahl der vertonten Strophen angegeben.

Melodie Falls die Komposition einen cantus prius factus verwendet, in der Regel die Melodie eines Liedchorals, wird dies hier angezeigt.

Notationsform Die häufigsten Notationsformen sind Partitur und Stimmen bzw. Stimmbücher, in seltenen Fällen auch eine Tabulatur. Nicht selten kommen in einem Stück auch verschiedene Notationsformen gleichzeitig vor.

Druck/Handschrift Drucke und Handschriften sind in der Regel eindeutig zu unterscheiden. Mitunter begegnen aber auch handschriftliche Momente in Drucken; diese werden vermerkt.

Teil einer Sammelüberlieferung Soweit möglich wird hier die jeweilige Gelegenheitsmusik als Teil einer Sammlung innerhalb der Bibliothek oder des Archiv ausgewiesen, mithin auch ihre Provenienz.

Verleger/Schreiber Der Verleger gedruckter Gelegenheitsschriften geht in der Regel aus dem Titelblatt hervor. Zu den Schreiberhänden der Handschriften konnte keine eigene Untersuchung angestellt werden; die Angaben gehen hier auf die von RISM zurück, Ausnahmen sind vermerkt.

Anzahl bedruckter/beschriebener Seiten Normalerweise sind hier nur die beschriebenen/bedruckten Seiten gezählt (S.). Wird der Eintrag ausnahmsweise aus anderen Quellen übernommen (RISM), sind oft die Blätter (fol.), also Vorder- und Rückseite als eins, gezählt (in der Regel einschließlich der unbeschriebenen).

Format Die Papierformate sind soweit möglich entweder in cm angegeben (Höhe x Breite) oder mit traditionellen Buchformaten (Folio: 2°, Quart: 4°, Oktav: 8°).

Illustrationen Vor allem auf den Titeln, aber auch an anderer Stelle sind häufig Zierleisten, Vignetten oder Embleme abgebildet. Diese werden hier erwähnt, letztere auch näher beschrieben. Weitere enthaltene Texte Hier handelt es ich in der Regel um Widmungsgedichte verschiedener Autoren. Namen und Anfänge werden nach Möglichkeit angegeben.

Verleger, Druckort, Jahr (bei Drucken) Diese Angaben ergeben sich in der Regel aus dem Titelblatt, sind zum Teil aber auch anderweitig eruiert, was in Klammern bemerkt wird.

Fundort, Bibliothekssigel, Signatur Fundort und Bibliothekssigel folgen den Festlegungen durch RISM. Sofern eine Bibliothek dort nicht auftaucht, wird sie hier ausgeschrieben. Unter Umständen werden außerdem ältere Signaturen oder Abweichungen angegeben.

RISM-Nr. Die Identifikationsnummern der Drucke und Handschriften nach „Répertoire International des Sources Musicales“ werden angegeben, soweit die Gelegenheitsmusiken dort verzeichnet sind.

Bemerkungen zur Überlieferung Hier werden vor allem Fragmente als solche ausgewiesen und beschrieben.

Bemerkungen zur Komposition Besonderheiten der Komposition können hier herausgestellt werden (sofern dies nicht schon aus der Kategorie „Aufbau“ hervorgeht).

Literatur In manchen Fällen existiert zu dem speziellen Werk schon Literatur, auf die hier verwiesen wird.

Incipit Die Anfänge der höchsten Vokal- und Instrumentalstimme einer Gelegenheitsmusik werden mitsamt dem vertonten Text und weiteren eventuell vorhandenen Angaben (Stimmen-, Vortragsbezeichnung etc.) wiedergegeben, und zwar möglichst dem originalen Schriftbild ähnlich. Mehrteilige Gelegenheitsmusiken (insbesondere Ritornellarien) werden mit entsprechenden Incipits wiedergegeben, nicht aber vielteilige Kantaten, von denen nur der erste Instrumental- und Vokalsatz skizziert wird.

Interne Werknummer Diese Nummer mit den Kürzeln BB, PT und JP, die auf die Datenerfasser Beate Bugenhagen, Peter Tenhaef und Juliane Peetz-Ullman verweist, dient nur der internen Übersicht der Datenbank und hat keine weitere Bedeutung. Sie wird aber oftmals als Verweisnummer auf identische oder ähnliche Exemplare bzw. Anlässe verwendet.

© 2013 - Universität Greifswald, Institut für Kirchenmusik und Musikwissenschaft